Hat sich der Mieter einer Wohnung nichts zuschulden kommen lassen, ist die Kündigung eines Mietvertrages für Vermieter sehr schwer. Praktisch möglich ist das nur beim sogenannten "Eigenbedarf" des Vermieters. Die Definition des Eigenbedarfs mit allen Sonderfällen ist immer wieder Thema diverser Gerichtsurteile. Es werden Fragen entschieden wie

  • Ist es Eigenbedarf, wenn nicht der Vermieter selbst einzieht, sondern sein Sohn, seine Schwiegermutter oder der beste Freund?
  • Besteht Eigenbedarf, wenn der Vermieter noch weitere Wohnungen hat in die er einziehen könnte?
  • Wie ausführlich muss der Eigentümer begründen, dass er genau diese Wohnung benötigt und keine andere?

Häufig ist es aber nicht der Bedarf des Vermieters, der in Frage steht sondern ein wichtiger Einwand, den der Mieter gegen die Eigenbedarfskündigung vorbringen kann: Eine Kündigung ist dann fraglich, wenn der Verlust der Wohnung für den Mieter eine "unzumutbare Härte" darstellen würde.

Liegt nämlich auf Seiten des Vermieters ein Eigenbedarf und auf Seiten des Mieters ein Härtefall vor, muss ein Gericht, das über den Räumungsantrag entscheidet eine Interessenabwägung vornehmen. Konkret bedeutet das: Das Gericht muss herausfinden, für wen die Situation belastender wäre. Kommt das Gericht dann zum Ergebnis, dass die Härte für den Mieter schlimmer ist, dann kann der Eigentümer nicht in seine Wohnung ziehen, obwohl er sie selbst benötigt.

Genau eine solche Situation war Gegenstand der beiden Urteile, die der BGH gestern, am 22.05.2019 gesprochen hat:

Im ersten Fall kündigte ein Familienvater einer älteren Mieterin, die seit 45 Jahren gemeinsam mit ihren beiden über 50 Jahre alten Söhnen in der Wohnung lebt und dement ist. Grund der Kündigung war, dass der Familienvater selbst dort mit seiner Familie einziehen wollte. Die Räumung wurde in den unteren Instanzen abgewiesen. (VIII ZR 180/18)

Im zweiten Fall kündigte der Eigentümer das Mietverhältnis um die Wohnung seiner Ex-Frau zur Verfügung zu stellen, die näher bei der pflegebedürftigen Großmutter leben möchte. Die Mieter halten den Eigenbedarf für vorgeschoben. Die Kündigung wurde in den unteren Instanzen für wirksam erklärt. (VIII ZR 167/17)

Der BGH hat beide Urteile aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Grund ist in beiden Fällen nicht das Ergebnis an sich, zu dem die Gerichte gekommen sind sondern der Weg zur Entscheidung. Der BGH ist der Ansicht, dass die Gerichte zu schematisch und oberflächlich gearbeitet haben und gibt ihnen für die Neuentscheidung ein paar Kriterien an die Hand:

  • Für die Interessenabwägung ist eine umfangreiche Sachverhaltsaufklärung notwendig. Allgemeine Fallgruppen lassen sich nicht bilden (z.B. aufgrund von Alter, Krankheit, Mietdauer)
  • Entscheidungen dürfen nicht schematisch sein sondern müssen den Einzelfall widerspiegeln
  • Schwerwiegende gesundheitliche Gefahren aufgrund des Wohnungswechsels müssen durch ärztliches Attest oder durch Sachverständigengutachten belegt werden

Die Entscheidungen haben folgen für zukünftige Eigenbedarfskündigungen und deren Wirksamkeit. Bereits jetzt müssen Eigenbedarfskündigungen sehr sorgfältig begründet werden. Noch mehr als bisher ist jetzt aber darauf zu achten, dass sowohl für die Kündigungsgründe als auch für eventuelle Härtefalleinwände stichhaltige Beweise vorgehalten werden. Der pauschale Hinweis auf das Alter der Mieter wird nun nicht mehr möglich sein.

Zum Nachlesen:
Pressemitteilung Nr. 68/19 vom 22.5.2019
BGH AZ VIII ZR 180/18
BGH AZ VIII 167/17
Hinweis: Die Urteile lagen bei Erstellung des Artikels noch nicht in gedruckter Form vor.